Executives diskutierten versicherbare und nicht versicherbare Risiken von Betriebsausfällen in Zeiten von Pandemie, Blackouts und Naturkatastrophen
Nicht nur Covid-19 hat unsere Zukunft nachhaltig verändert. Die Zunahme an heftigen Naturkatastrophen und Bedrohungen durch Cyber-Attacken halten Unternehmen über alle Branchen und Industrien hinweg in Atem. Betriebsausfälle durch Erkrankungen, zerstörte Fertigungshallen oder Blackouts kosten ein Vermögen, wenn nicht sogar Existenzen. In Zeiten wie diesen ist man als CEO oder CFO gut beraten, sich über versicherbare und nicht versicherbare Risiken Gedanken zu machen. Auch die Versicherer selbst sehen sich neuen Szenarien gegenüber, die hierzulande bisher kaum Thema waren. Auf Einladung der Vienna Insurance Group kamen dieser Tage hochrangige Executives im Wiener Ringturm zusammen, um sich über aktuelle Trends im Risikomanagement und Zukunftsszenarien auszutauschen.
„Die Zukunft hat sich verändert“, stellte Isabella Mader, CEO des Excellence Institutes und Executive Advisor des Global Peter Drucker Forums, einleitend in ihrer Keynote fest. „Neu ist, dass ohne Katastrophenszenarien kein Risikomanagement mehr möglich ist. Weltweit schlagen sich nicht mehr nur Versicherungsunternehmen mit der erhöhten Wahrscheinlichkeit von Katastrophen wie Pandemien, Starkregen, Hurrikans, Internet-Blackouts und Cyber-Attacken herum, sondern auch die betroffenen Unternehmen. Denn es wird klar, dass nicht jedes Risiko versicherbar ist. So können Betriebsausfälle und Naturkatastrophen zwar recht gut abgedeckt werden, für behördliche Schließungen – beispielsweise aufgrund eines Corona-Lockdowns - bräuchte es aber eine staatliche oder sogar überstaatliche Lösung.“
Um Betriebsausfälle bestmöglich zu minimieren, müsse man sich im Prozessmanagement auch die vor- und nachgelagerten Prozesse gut anschauen, erläuterte Hermann Obermair, Senior Vice President und Division Manager Automation beim Anlagenspezialisten Andritz: „Wir schauen uns alle Produktionsprozesse von der Beschaffung bis hin zur Fertigung ganz genau an. Nur durch genaues Monitoring kann ich Standzeiten, beispielsweise aufgrund von Überbelastung eines Teiles, vorhersehen und minimieren. Diese Stillstände in der Produktion werden beim Risikomanagement leider noch häufig vergessen.“
Neue Risiken können Rückkehr zu lokalen Anbietern begünstigen Der – partielle – Ausfall von Supply Chains und die damit verbundenen Lieferschwierigkeiten beschäftigen gerade die fertigende Industrie sehr. Mader: „Die Engpässe durch geschlossene Häfen in China stellt die Firmen für die Aufgabe, ihre Sourcing-Strategien zu überdenken. Fällt uns die Abhängigkeit von Fernost jetzt auf den Kopf und wäre eine teilweise Rückkehr zu lokalen bzw. europäischen Lieferanten vielleicht doch die bessere Strategie?“
Auch in der Versicherungsbranche merkt man, dass die Statistiken der letzten Jahrzehnte nicht mehr zukunftsfähig sind. Peter Höfinger, Vorstandsmitglied der Vienna Insurance Group, bestätigte, dass es künftig wichtig ist, die Zusammenhänge zwischen Katastrophen zu erkennen und entsprechende Pakete den Unternehmen anzubieten: „Wir fragen uns, ob die Ereignisse der letzten beiden Jahre etwas sind, was wir nicht modelliert haben. Mit den Betriebsunterbrechungen durch Lieferschwierigkeiten, die zum Beispiel durch eine Pandemie entstehen, aber auch durch Flashfloods oder Tornados in unseren Breitengraden, sind Risiken entstanden, die wir davor nicht auf den Listen hatten. Es wird immer schwieriger, Risiken vorherzusehen. Firmen, die eigentlich auf gutem Boden gebaut werden, sind plötzlich von Starkregen zerstört. Der Klimawandel ist mehr als real und bereitet allen Industrien und Branchen mehr und mehr Kopfzerbrechen.“
Risikofaktor Mensch
Das Excellence Institut stellt in einer aktuellen Studie fest, dass die Lockdowns der vergangenen Monate die Gehirnchemie der Probanden verändert hat. Die Gesundheit der Menschen habe demnach durch die soziale Isolation wirklich gelitten. Demnach steigen die Fälle von Burnout und Depressionen immens – ein Faktor, der sich wieder auf den Betrieb negativ auswirken kann. „Wir sehen, dass bei den Unternehmen große Ratlosigkeit hinsichtlich hybrider Arbeitsformen herrscht. Durch Homeoffice leidet der soziale Zusammenhalt im Team und das wirkt sich wiederum negativ auf die Kundenbindung und -gewinnung aus“, erklärte Isabella Mader. „Zwei bis drei fixe Bürotage pro Woche, an denen das Team gemeinsam im Office ist, wäre optimal für das Zugehörigkeitsgefühl und eine gute Maßnahme gegen Vereinsamung im Homeoffice.“
Ein nicht einschätzbares Risiko sei aber auch die Verlässlichkeit der Belegschaft, so Obermair: „Wir müssen immer wieder erkennen, dass vorgeschriebene Wartungen an Maschinen einfach nicht gemacht werden. Das hat dazu geführt, dass wir die Techniker mit Tablets und Handys ausgestattet haben und jeder Arbeitsschritt dokumentiert werden muss.“ Es sei außerdem von großer Relevanz, genau zu wissen, welche Arbeitsschritte von externen Technikern an welchen Maschinen durchgeführt werden, denn hier befinde sich das größte Risiko für die Cyber-Security.
„IT-Käseglocke“ funktioniert nicht
„Das Problem bei der ganzen Cyber-Security-Debatte ist, dass sich alle auf IT-Security konzentrieren und nicht auf die OT-Security. Wenn ein IT-Techniker sagt, das Unternehmen sei durch Firewall usw. wir unter einer Käseglocke geschützt, glauben sie das bloß nicht“, mahnte Hermann Obermair. „Jedes Update einzelner Steuerungssoftware muss überprüft werden. Denn via VPN-Tunnels kann ein Cyber-Angreifer meist unerkannt einfach in die Fertigungshalle spazieren und großen Schaden anrichten.“ So könne es passieren, dass plötzlich Maschinen miteinander kommunizieren, die das vorher noch nicht taten. „Wenn Sie über Cyber-Security in der Produktion nachdenken, schauen sie sich jedes kleinste Teil der Produktion an und sind Sie nicht verwundert, wenn die Käseglocke nicht funktioniert.“
Denn jeder könne zu jeder Zeit angegriffen werden, daher sei es entscheidend einen proaktiven Ansatz im Risikomanagement zu verfolgen: „In guten Zeiten sollte man so sauber und sicher wie möglich arbeiten und die Zeit nutzen, die Systeme zu überprüfen und sich mit möglichen Angriffsszenarien auseinandersetzen und sich dagegen zu schützen.“
Mangelnde Verfügbarkeit ist für alle schlecht Gerald Netal, Head of Corporate Business bei der Vienna Insurance Group, fasste das Thema aus Versicherungssicht so zusammen: „Die Verfügbarkeit aufrecht zu erhalten ist das wesentliche Ziel, ganz egal, ob es die Verfügbarkeit von Waren oder Dienstleistungen ist. Durch die Lieferschwierigkeiten von Rohstoffen und Baumaterialien steigen klarerweise die Preise, der Baukostenindex explodiert und das alles wirkt sich auf die Betriebsunterbrechungen aus. Und darum ist auch für uns der Betriebsstillstand derzeit Risiko Nummer eins.“ Während mangelnde Verfügbarkeit für jeden schlecht ist, im Schadensfall auch für Versicherer, gäbe es bei steigenden Preisen immer Gewinner und Verlierer, so Netal weiter: „Die Baubranche profitiert extrem von der derzeitigen Entwicklung. Für die meisten gilt aber, dass die Schadensszenarien durch steigende Preise und mangelnde Verfügbarkeit größer werden. Je länger ein Betrieb steht, umso größer ist die Schadensbelastung für die gesamte Branche. Es gilt es jetzt zu analysieren, ob die Versicherungssummen und Haftzeiten der Unternehmen noch stimmen und wo etwaige Störungen massiv auf die Leistungsfähigkeit der Betriebe einwirken.“
Welche Risiken sind nicht versicherbar? Schon in ihrem Eingangsstatement betonte Isabella Mader, dass bei weitem nicht alle Risiken versicherbar seien: „Im Falle einer Cyber-Attacke erleidet das Unternehmen einen enormen Reputationsschaden, wenn die Öffentlichkeit davon erfährt. Diesen Imageschaden kann keine Versicherung abdecken.“ Gerald Netal ergänzt: „Für die Versicherbarkeit müssen zwei Faktoren gewährleistet sein: Einerseits der Risikoausgleich im Kollektiv und andererseits der Risikoausgleich über die Zeit. Es dürfen also nicht alle im Kollektiv gleichzeitig betroffen sein, sonst funktioniert ein Risikoausgleich nicht. Daher kann auch eine Pandemie aus privatwirtschaftlicher Sicht nicht versichert werden. Gemeinsam mit den Unternehmen müssen wir erörtern, was kritische Ressource der Firma ist und wie sie geschädigt werden kann. So können wir uns auf mögliche Szenarien gut vorbereiten.“
Beim Erfahrungsaustausch unter der Moderation von Chefsache-Initiator Rudolf J. Melzer diskutierten im Anschluss unter anderem Doris Pokorny, CFO der Austria Presseagentur und Geschäftsführerin der Gentics Software GmbH, Robert Schuhmayer, CFO von Elin Motoren, Thomas Lutzky, CEO von Phoenix Contact, Ex-AMAG-CEO, Benteler- und TTTech-Aufsichtsrat Helmut Wieser, Robert Greimel, CEO des Gewürzherstellers Zaltech International, Rainer Walter, Eigentümer von Pörner Anlagenbau, sowie Christian Stano, CFO von Prangl.
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Weitere Informationen unter: www.melzer-pr.com/chefsache
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