WIFO-Direktor Gabriel Felbermayr über die weitreichenden Folgen des Ukraine-Konflikts auf die westliche Wirtschaft

„Die Ukraine wird wirtschaftlich gerade ausradiert: Viele Industrien und Wirtschaftszweige werden komplett zerstört, die Agrarwirtschaft kommt zum Erliegen. Dazu kommen die Sanktionen gegen Russland, die den Finanzmarkt, die Lieferketten und langfristig auch den Fachkräftemangel nachhaltig beeinflussen werden“, sagte Prof. Gabriel Felbermayr, Direktor des Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO) beim Executive-Talk „Chefsache Weltwirtschaft“ dieser Tage in Wien. „Es wird ein massives De-Coupling der Weltwirtschaft mit China und Russland geben und dafür braucht es innereuropäische Kompensation. Europa hat nun regional riesige Chancen, eine Wende gegen die Abhängigkeiten von diesen Staaten herbeizuführen.“
„Die Zeiten der Über-Globalisierung, in denen der Warenhandel schneller wächst als die Industrieproduktion, sind schon lange vorbei“, betonte Gabriel Felbermayr, der bei einem Executive-Talk auf Einladung von Kommunikationsprofi Rudolf J. Melzer mit Geschäftsführern und Vorständen über die aktuellen Auswirkungen des Ukraine-Konflikts auf die Weltwirtschaft diskutierte. „Wir sind gerad mitten in einem massiven De-Coupling. China macht sich mehr und mehr unabhängig von westlichen Produkten, Trump hat diesen Trend auch in den USA eingeführt und jetzt stehen wir vor einer längeren Eiszeit mit Russland.“
Die neue Seidenstraße ist nicht mehr betreibbar
Durch dieses De-Coupling sind auch neu entstandene und gut funktionierende Importwege nach Europa nicht mehr zugänglich, erklärte Felbermayr weiter: „Die neue Seidenstraße, die ein großes Entwicklungspotential hatte, von China nach Europa ist zumindest über den Landweg durch Russland nicht mehr betreibbar. Dadurch verlieren wir die dringend notwendigen Produktivitätsgewinne. Die Hoffnung ist allerdings, dass wir die Verluste jetzt innereuropäisch kompensieren können.“ Denn es gebe in Europa großes Potential, vor allem die Energiemärkte betreffend. Und es wäre dringend an der Zeit, einen europäischen Arbeitsmarkt zu schaffen und es Fachkräften nicht noch schwerer zu machen, innerhalb Europas in verschiedenen Ländern zu arbeiten.
Mit richtigen Technologien ist jetzt guter Profit zu machen
Die aktuelle Lage zeige deutlich, dass es durchaus österreichische und europäische Unternehmen, vor allem im Energiebereich, gibt, die sich die Krise zu Nutzen machen: „Es ist gut, dass jene Unternehmen, die schon vor der Krise in erneuerbare Energien und die damit verbundenen Technologien investiert haben, jetzt damit Geld verdienen. Und mit diesem Geld können diese Firmen die Technologien wiederrum skalieren. In diesem Sinne sind die hohen Preise bei Öl und Gas nicht nur schlecht, denn es kommt jetzt auf die Alternativen an und die können auch innereuropäisch hergestellt werden.“ Man dürfe nämlich bei dem ganzen Grauen, das momentan passiert nicht vergessen, dass Russland eigentlich relativ unwichtig im Außenhandel sei.
Sanktionen gegen Russland wirken – aber wirken sie vielleicht zu gut?
„Die Sanktionen gegen Russland wirken überraschend gut“, so Felbermayr. „Alle jene, die sagen, es störe den Kreml nicht, wenn Europa kein Erdöl und Gas mehr kauft, liegen falsch. Wenn ein Staat Exporteinnahmen im Ausmaß von zehn Prozent seiner Wirtschaftskraft verliert, schmerzt das sehr.“ Die Abhängigkeit sei aber natürlich eine beidseitige: „Zum einen fehlen uns die Alternativen zu vielen Rohstoffen, die wir aus Russland beziehen und zum anderen braucht Russland Europa für seine Pipelines. Denn die einfach so zu schließen und über andere Wege Gas zu exportieren, ist zeitlich und finanziell nicht möglich.“
Russland reagiere auf die westlichen Sanktionen durchaus geschickt, denn die russischen Gas- und Ölexporteure müssen in der nächste Woche den Zahlungsverkehr auf Rubel umstellen: „Das ist ein Problem für Europa. Denn das Beschaffen von Rubel ist nicht einfach, nachdem die russische Zentralbank mit Sanktionen belegt wurde. Außerdem ist der Rubel keine Reservewährung, die wir in anderen Ländern und Banken vorrätig haben und wir brauchen große Mengen“, so der Wirtschaftsforscher. „Da haben wir uns möglicherweise in eine Sackgasse manövriert.“ Die kurzfristige Folge ist, dass der Rubel deutlich aufgewertet hat und der Gaspreis wieder zulegt. Ob Russland und auch die Gazprom diesen erwarteten 100-prozentigen Rubelzwang so durchziehen kann ist fraglich. Es müssten dafür auch bestehende Verträge mit Käufern gebrochen werden, denn die Währung sei ein wesentliches Detail in den Vereinbarungen mit den Unternehmen, ergänzte Felbermayr.
Kommunikation in Krisenzeiten als manipulativer Sprengstoff?
Kommunikationsexperte Rudolf J. Melzer gab in der Diskussion zu bedenken, dass es in Krisenzeiten besonders auf unabhängige und neutrale Berichterstattung ankommt: „Schon in der Pandemie und jetzt in der Ukraine-Krise zeigt sich, wie manipulativ Kommunikation eingesetzt wird. Gute Krisenkommunikation ist jetzt mehr denn je gefragt und sollte vor allem von Regierungen und Medien als zusätzlicher Sprengstoff eingesetzt werden.“ Denn in Zeiten von Krieg und Propaganda sinke das Vertrauen der Menschen in die Medien weiter ab. In der Krise müsse man daher umso mehr aufpassen, wie man berichtet, um die Unsicherheiten der Menschen nicht noch zusätzlich zu schüren.
Hochkarätige Diskussion bei „Chefsache Weltwirtschaft“
Den Ausführungen von Gabriel Felbermayr lauschten unter anderem Roman Oberauer, Country Managing Director von NTT Ltd. in Österreich, Doris Pokorny, Geschäftsführerin von Gentics Software, Gerald Schitter, Generaldirektor der Salzburg AG, Verena Knott-Birklbauer, Leiterin des Bereiches „Treasury“ bei der österreichischen Post AG, Thomas Lutzky, Geschäftsführer von Phoenix Contact, Matthias Gass, Präsident des Immobilienverbandes FIABCI Austria, Hannes Guttmeier, CIO der Soravia Group, Martin Butollo, Geschäftsführer der Commerzbank in Österreich, Thomas Gindele von der deutschen Handelskammer und Markus Gstöttner, Geschäftsführer des Manstein-Verlages.
Download Nachbericht:
Weitere Informationen unter: www.melzer-pr.com/chefsache
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